Die Chance einer konzeptuellen Ausrichtung von Kunstunterricht besteht darin, zeitgemäße künstlerische Produktionsstrategien mit Schüler*innen gemeinsam zu entwickeln. Diese gehen über die Beherrschung bestimmter Techniken hinaus. Die formale Umsetzung und die Entwicklung künstlerischer Ideen bedingen sich gegenseitig. Planung und Dokumentation nehmen einen zentralen Stellenwert ein und werden als Teil künstlerischer Produktion konzipiert. Sinnproduktion ist das gemeinsame Thema der Produktionsgemeinschaft auf der Ebene der Praxisprozesse und zugleich kann jede*r Schüler*in seinen*ihren individuellen Weg suchen.
Ein Kunstunterricht, der auf die Arbeit mit Bedeutungspotentialen und der Erfindung künstlerischer Handlungsformen setzt, stellt in Analogie zu Praktiken der Konzeptkunst die künstlerischen Ideen der Schüler*innen in den Mittelpunkt und geht davon aus, dass neue Realisierungsformen mit dem Prozess der Ideenentwicklung entstehen. Ein künstlerisches Endprodukt ist einer von mehreren möglichen Wegen.
Dokumentation und Fotografisches Material: Schüler*innen kommunizieren Entscheidungs- und Denkwege
Dokumentation und das Generieren von fotografischem Material nimmt in der beschriebenen Konzeption von Kunstunterricht eine zentrale Rolle ein. Auch die Schüler*innen dokumentieren kontinuierlich ihr Arbeitspraxis und tauschen sich darüber aus. Dokumentation und Gespräche werden als Teil der künstlerischen Produktion von und mit Schüler*innen in der Unterrichtskonzeption verankert.
Entscheidungen – insbesondere Planänderungen – schreiben sich so in die Produktion ein und können in ihrer Konsequenz nachvollzogen und gewürdigt werden – unabhängig vom Status des Endproduktes zum Ablauf der gesetzten Produktionszeit – und direkt für die Bewertung berücksichtig werden. Dokumentation durch die Schüler*innen und die Produktion von Fotografischem Material bietet die Chance Mikroprozesse retrospektiv nachzuvollziehen und im Gespräch darauf einzugehen. Dokumentationen können in ihrer Form frei von den Schüler*innen bestimmt werden. Sie bieten Schüler*innen die Möglichkeiten ihre Entscheidungs- und Denkwege zu kommunizieren.
Schüler*innen können ihren Aktionsradius und ihren Aktivitätsgrad selbst und immer wieder neu bestimmen. Dies ist besonders für Unterrichtsaktionen mit performativen Anteilen relevant. Die Arbeit an der kollektiven Sinnproduktion kann mit unterschiedlicher Bühnenwirksamkeit erfolgen. Schüler*innen die Möglichkeit über ganz unterschiedliche Tätigkeiten zu punkten. Hier ist auch eine besondere Aufmerksamkeit der Lehrpersonen erforderlich.
Off-Spaces von Kunstunterricht
„OFF-Spaces“ von Kunstunterricht bilden einen besonderen Freiraum für das künstlerische Arbeiten von Schüler*innen simultan zum Unterrichtsgeschehen. Sie entstehen an der Schnittstelle von. Kunstunterricht am institutionellen Setting Schule zu Alltagspraktiken und Kommunikationsräumen von Schüler*innen, Kindern und Jugendlichen.
Aus der Perspektive der Lehrer*in ist hier eine besondere Haltung der Aufmerksamkeit erforderlich und die Bereitschaft, ungewöhnliche Dinge, die Schüler*innen im Unterricht und parallel oder anstatt dem, was eigentlich Thema ist, in ihrem Sinnanschluss und unter dem Fokus von Bedeutungsproduktion und der Erfindung von Künstlerischen Handlungsformen zu sehen. Diese Anschlüsse werden häufig erst auf den zweiten Blick sichtbar. Es lohnt sich nachzufragen oder im Unterricht zu fotografieren und dann mit diesen Fotos weiter zu arbeiten.
Kunstunterricht als Koproduktion von Lehrperson und Schüler*innen
Die Lehrperson ist Teil der Produktionsgemeinschaft und trägt zugleich pädagogische Verantwortung. Sie bleibt Vertreter*in der Institution und kann durch ihre besondere Rolle ermöglichen, ebendiese Rahmung zu thematisieren. Voraussetzung ist, dass sie in Distanz zu ihrer eigenen Rolle am institutionellen Setting Schule gehen kann und die Verantwortung für die Produktionsgemeinschaft Kunstunterricht mit ihren Schüler*innen teilt. Kunstunterricht, der sich als Produktionsgemeinschaft im Sinne einer Koproduktion versteht, produziert seine eigenen Rahmenbedingungen. Das geht über eine partizipative Teilhabe von Schüler*innen hinaus. Denkt man den Gedanken weiter, könnte kann? Kunstunterricht im Kontext von Schulentwicklung relevant werden. Die Sicht auf die schulischen Rahmenbedingungen würde wird im Zusammenhang und in Differenz zu künstlerischer Produktion für alle Akteur*innen des Feldes offensichtlich. Kunstunterricht könnte eine Produktion der Schüler*innensicht auf das Setting ihrer künstlerischen Praxis sein.
Neue Konzepte von Autor*innenschaft : „ein Zwillingsbild“
Mit einem Kunstunterricht der sich an der Schnittstelle von Schule, aktueller Kunst und Theater verortet und in seiner Konzeption die Produktion von Bedeutung und die Erfindung künstlerischer Handlungsformen vorsieht, entstehen neue Konzepte von Autor*innenschaft im Kunstunterricht, für die es die Register in Differenz zu etablierten Methoden der Leistungsbewertung erst noch zu entwickeln gilt. Auf der Ebene der künstlerischen Praxis sind diese Konzepte bereits vorhanden, wie folgendes Beispiel, welches emblematisch für eine Anschlussforschung stehen könnte, zeigt:
Zwei Schülerinnen zeigen mir ihre im Zuge der Unterrichtsreihe „eine Reise ins …“ LInk realisierten Buchobjekte. Die beiden Schülerinnen haben die Autor*innenschaft für ihre Objekte gleich miterfunden. Eine Einzelidee in doppelter Ausführung machen sie zu einer neuen gemeinsamen Idee. „Kopie“ und „Original“ sind nicht voneinander zu unterscheiden. Die künstlerische Leistung liegt auf der Ebene der Gedanken und zeichnet sich doch auch in der Realisation im Material ab. Zwei identische Seiten kommentieren und konzeptualisieren die Schülerinnen mit folgenden Worten „Frau Sutter, wir machen ein Zwillingsbild“.